Schöne Ferien
Vor einigen Jahren fragte ich bei etwa fünfzig 13-14-jährige Schülerinnen und Schüler nach, wer schöne Ferien gehabt hätte. Was denkst Du, wie viele haben sich gemeldet?
Niemand!
Ich war schockiert und fragte ein weiteres Mal, weil ich dachte, dass mich die Jugendlichen nicht richtig verstanden hatten. Es blieben 0 Schüler, die schöne Ferien hatten. Ich fragte, wie habt ihr denn die Ferien verbracht?
Jungs: „Wir haben gezockt, zum Teil die ganze Nacht durch und dann bis 12 Uhr geschlafen…“
Mädchen: „Wir haben Serien gesuchtet…“
„Wart ihr nicht einmal draußen?“
Einige: „Och nee, es war zu kalt!“ (denn es war Winter)
Andere: „Ja, ab und zu!“
„Und weshalb waren die Ferien dann nicht schön, wenn ihr doch machen konntet, was ihr euch am meisten gewünscht habt?“
„Langweilig!“ kam als Antwort oder einfach nur ein Schulterzucken.
Ich erzählte von meinen Ferien als Kind und endete mit den Worten:
„Euch fehlen echte Erlebnisse, euch fehlen Abenteuer!“
Nur von Erlebnissen erzählt man jemand anderem oder später seinen Kindern, aber doch nicht davon, dass man den ganzen Tag auf dem Sofa lag und am Handy gedaddelt hat. Sowas interessiert niemanden.
Abenteuer können auch ganz klein sein. Wer hat schon mal im Herbst Schuhe und Socken ausgezogen und ist durch einen flachen Bach gelaufen? Bist Du schon mal im strömenden Regen Joggen gegangen? Oder hast Du schon mal im Sommer draußen im Garten, der Terrasse, dem Balkon oder dem Trampolin übernachtet? Das sind Erlebnisse und können zu Abenteuern werden.
Man kann auch von tollen Büchern erzählen, die man gelesen hat und die einen berührt haben oder zum Nachdenken gebracht haben, oder von denen man was gelernt hat, die Interesse nach mehr geweckt haben.
Ich erzählte von meinen Ferien als Kind und endete mit den Worten:
„Euch fehlen echte Erlebnisse, euch fehlen Abenteuer!“
Maria muss zurück
Vor ein paar Jahren organisierte ich eine zweitägige Radtour mit meiner Klasse mit einer Übernachtung in einem Selbstverpflegerhaus. Dort sollten alle Jugendlichen auf einem Matratzenlager in einem Zimmer übernachten.
Bei der ersten Pause, sprach mich mein begleitender Kollege an und meinte: „Imke, das Mädchen (ich nenne es Maria) kann unmöglich weiter mitfahren. Sie wird immer von der Gruppe abgehängt. Die Strecke schafft sie unmöglich! Am besten setzen wir sie im nächsten Ort in den Zug, damit sie zurückfährt.“
Ich: „Nein, ich lasse niemanden zurückfahren. Sie wird ihr Leben lang denken, dass sie kein Rad fahren kann und wird es deshalb auch nie mehr tun. Du führst die Gruppe jetzt an und ich gehe ans Ende zu der Schülerin!“
Maria war abgeschlagen und den Tränen nah.
Als erstes lud ich Marias Tagesgepäck auf mein Rad, beruhigte sie und sagte ihr, dass sie das schafft. Dann blieb ich bei ihr und sagte, sie solle nur so schnell fahren, dass sie sich mit mir problemlos unterhalten kann. Ich quatschte sie zu, um sie vom Radfahren abzulenken und sie begann zu lachen.
Die Gruppe musste kaum öfter pausieren und auf uns warten. Am langen Berg fuhr ich eng neben sie und schob sie. Wir redeten über Gott und die Welt und Maria bekam gute Laune. Letztlich waren wir kaum langsamer als der Rest der Gruppe und kamen alle zusammen bei unserer Unterkunft an.
Maria war stolz wie Oskar und glücklich, das alles miterlebt zu haben. Sie bedankte sich mehrfach bei mir.
Mein Kollege war sprachlos und gab zu: „Das hätte ich nicht gedacht! Großartig!“
Am nächsten Tag kam mein Kollege zu mir und sagte: „Guck mal, laut der Wetterapp soll es heute Mittag kräftige Gewitter geben! Sollen wir die Jugendlichen nicht lieber abholen lassen?“ Ich: „Wetterapp? Auf so etwas schaue ich nie. Ich gucke einfach in den Himmel und gucke nach der Wolkenformation! Außerdem können wir uns doch auch mal unterstellen, wenn es allzu sehr regnet.“ Er machte mich weiter unsicher, wegen der auf uns lauernden Gefahren, so dass ich mit den Eltern per Handy Kontakt aufnahm. Schließlich entschieden wir, unsere Heimfahrt trotz der Wettervorhersage mit dem Rad anzutreten.
Es regnete etwas, aber wir kamen nass, glücklich und stolz nach Hause.
Es war ein Abenteuer!
Ich springe da nicht runter!
Ich hatte vor einiger Zeit eine 5. Klasse im Schwimmen und unterrichtete eine übergroße Gruppe von Nichtschwimmern. Als alle Kinder sich auch im tiefen Becken sicher über Wasser halten konnten, gingen wir zum Startblock. „Springt rein, wie ihr wollt!“, war mein Auftrag.
Ein Junge und ein Mädchen stellten sich immer wieder hinten an und meinten: „Ich springe da nicht runter!“
Ich antwortete bestimmt: „Doch, ihr springt da heute runter! Setzt Euch zunächst auf den Startblock und nehmt die Schwimmnudel vor die Brust und unter die Achseln und lasst Euch fallen.“
Dies gelang. Aber aus der Hocke zu springen, verweigerten die beiden bis zum Ende der Stunde. Ich schickte alle Kinder zum Duschen außer den beiden. Sie durften sich noch ein Kind aussuchen, dem sie vertrauten. Ich sagte wieder: „Ihr springt da heute runter! Ich und euer Freund sind bei euch! Gebt mir eine Hand und die andere Eurem Freund. Wir lassen Euch nicht los, bis ihr sicher im Wasser seid. Ich springe euch außerdem sofort hinterher, wenn es nötig ist!“
Als die beiden merkten, dass sie der Situation nicht mehr ausweichen konnten, sprangen sie tatsächlich. Beide tauchten glücklich auf und riefen: „Das ist ja gar nicht schlimm, das macht Spaß!“ und sprangen noch drei weitere Male ohne unsere Hilfe. Die Kinder, die eigentlich duschen sollten, lugten aus der Duschtür heraus und gaben den beiden laut Applaus.
Das war ein Abenteuer und ein Erlebnis, woran sich die beiden Kinder lange erinnern werden und sicherlich Ihren Eltern davon berichteten. Abgesehen davon, hatten sie Ihre Ängste überwunden und sind an der Herausforderung gewachsen. Sie waren stolz und bekamen die Anerkennung der Mitschüler.
Von nun an können sie mit Freunden zusammen vom Startblock springen und sind dabei und stehen nicht am Beckenrand und müssen zusehen, wie andere Spaß haben.
Was machst Du in deiner Freizeit?
„Was hast du gestern nach der Schule gemacht?“, fragte ich einen sehr übergewichtigen Fünftklässler.
„Och, ich lag in meinem Bett und hab fern geguckt!“
„Und was machst du heute?“
„Och, ich zocke oder gucke fern!“
„Ah, und was hast du für morgen vor?“
„Das gleiche!“
„Hast du denn kein Hobby?“
„Nein!“
„Was würde dir den Spaß machen?“
„Keine Ahnung!“
„Hast du keine Freunde, mit denen du dich treffen könntest?“
„Doch, aber die wohnen zu weit weg!“
„Wo wohnen sie denn?“
Er erklärte mir, dass seine Freunde im gleichen Ort und im zwei Kilometer entfernten Nachbarort wohnen würden.
„Aber, dann kannst du sie doch treffen!“
„Wie denn?“
„Du könntest laufen, mit dem Rad oder dem Bus fahren!“
„Nee!“
„Ok, du bekommst von mir eine Aufgabe: Bis nächste Woche schreibst du mir auf einen Zettel auf, was dir Spaß machen würde. Etwas was nicht mit Technik (Handy, I-pad, Fernsehn, Computer) zu tun hat!
Es kann Malen, Musik hören, jeglicher Sport, Lesen oder vieles andere sein…“
Ich fragte diesen Schüler drei Wochen lang, ob er mir etwas hätte schreiben können. Leider nein. Entweder war er zu faul oder er wusste wirklich nicht, was ihm Spaß macht.
Das finde ich unglaublich traurig und leider ist er sicher nicht ein Einzelfall.
Post vom Gran Canyon
In den Klassen 9 biete ich seit Jahren eine zweitägige Wanderung mit Hütte- oder Zeltübernachtung an. Während der Wanderung veranstalte ich viele erlebnispädagogische Spiele zur Stärkung der Gruppengemeinschaft.
Abends wird gegrillt und am Lagerfeuer gesessen.
Es fällt mir immer schwerer Klassen für die Idee zu begeistern. Aber alle Klassen, die sich darauf eingelassen haben, haben am Ende der Wanderwoche bei einer Abstimmung angegeben, dass das die beste Unternehmung war (neben einer Fahrt in eine Stadt mit einem Besichtigungsschwerpunkt und Zeit zum Bummeln und einem Sporttag).
Ein Schüler, der sehr kritisch bezüglich meiner Person war, schrieb mir ein halbes Jahr später einen Brief (per Post). Ich war sehr erstaunt, von ihm Post zu erhalten. Er dankte mir dafür, dass ich in ihm die Leidenschaft zum Wandern entfacht hatte und schickte mir überglücklich eine Karte vom Gran Canyon. Mich hat es sehr gefreut, etwas erreicht zu haben. Das sind die glücklichen Momente des Lehrerdaseins.
Die Uhr muss dran bleiben!
Zu Beginn einer Sportstunde sagte ich zu einer neuen 5. Klasse: „Zieht bitte alle den Schmuck und die Uhren aus!“ Einige Kinder flitzten in die Kabine, um den Schmuck abzulegen. Ein Junge kam zu mir und sagte, das könne er nicht – er dürfte seine Uhr nicht ablegen.
Ich fragte: „Wieso?“
Er: „Dann denkt meine Mama, ich wäre tot!“
Ich machte große Augen und fragte: „Warum?“
„Na, weil sie meine Bewegung mithilfe der Uhr verfolgt, damit mir nichts passiert!“
Ich war sprachlos und wir einigten uns darauf, dass er bis zur nächsten Stunde mit seiner Mutter gesprochen hat und ihr sagte, dass sie sich während der Sportstunden nicht sorgen müsse, wenn er (eigentlich die Uhr) sich nicht mehr bewegt.
Ich konnte es nicht glauben, dass Eltern ihre Kinder derart überwachen. Natürlich sind es die Sorgen um das eigene Kind, aber ich frage mich mit welcher Angst dieses Kind aufwächst. Es lernt, dass es niemals ohne diese Uhr sein darf und dass nur Hilfe kommt, wenn es die Uhr trägt.
Es wird bei Schritt und Tritt überwacht, wie soll dieses Kind selbstständig und selbstbewusst werden?
Ein Erlebnis zum Wortschatz
In einer neunten Klasse bat ich einen Schüler mir an der Weitsprunggrube den Rechen zu reichen. Er blickte mich an, als ob er mich nicht richtig verstanden hatte. Ich wiederholte: „Kannst du mir bitte den Rechen geben?“
Der Schüler reagierte noch immer nicht und blickte mich verständnislos an.
Ich zeigte auf den auf dem Boden liegenden Rechen und meinte: „Da, der Rechen… könntest du ihn mir bitte geben?“ Der Schüler griff danach und gab ihn mir.
Ich fragte: „Kennst du das Wort „Rechen“?“
„Nein!“
Da der Schüler zwar fließend deutsch sprach, aber Migrationshintergrund hatte, fragte ich: „Ok, wie nennst du das Gerät in deiner Sprache?“
„Keine Ahnung!“
Daraufhin rief ich die Klasse zusammen und stellte die gleiche Frage. Nur drei Jugendliche einer 9. Klasse konnten das Gerät Rechen beim Namen nennen. Ich war erschrocken, aber vielleicht ist es so, dass die Jugendlichen zuhause keinen Garten haben, in dem sie z. B. das Laub zusammenrechen müssen.
Einige Monate später erzählte mir ein Kollege ein ähnliches Beispiel. Seine Lerngruppe kannte das Wort „Mast“ nicht.
Oft fragen mich meine Schüler/innen, die mich bereits eine Weile kennen: „Erzählen Sie uns doch eine Geschichte!“
Sie meinen damit keine wirkliche Geschichte, sondern ein Erlebnis aus meinem Leben. Natürlich fragen sie das auch aus dem Grund, damit sie im Unterricht nichts mehr machen müssen.Dem entgegen spricht, dass Schüler/innen freiwillig noch länger im Raum bleiben, um das Ende zu hören, wenn es gegongt hatte…. Und, dass es meist mucksmäuschenstill ist, wenn ich erzähle.
Die Schüler/innen fragen mich oft erstaunt: „Wann haben Sie das alles erlebt?“ oder „Wie konnten Sie so viele Länder bereisen?“ oder „Hatten Sie keine Angst?“
Mein Eindruck ist, dass die Jugendlichen durch solche Erzählungen mehr lernen und sich vor allem mehr merken, als im normalen Unterricht – auch wenn sie etwas anderes lernen.
Ich frage dann oft in der letzten Stunde vor der Ferien: „Wer kann denn eine Geschichte erzählen?“ und meine damit ein Erlebnis.
Oder ich biete an: Welche Geschichte wollt ihr hören?
Es ist nicht immer alles schön, was leicht ist. Manchmal ist gerade das Schwere, das was im Kopf, im Herz und Erinnerung bleibt! Vor allem ist man stolz darauf, das Schwere geschafft zu haben und man wächst an den eigenen Herausforderungen!